Was passiert?
Das Immunsystem erkennt üblicherweise körperfremde Strukturen (z.B. Viren), um diese anzugreifen und zu eliminieren, damit sie sich nicht unkontrolliert vermehren und uns dauerhaft krank machen.
Es gibt verschiedene Antikörper (Immunglobuline/Ig), die diese Aufgabe in unterschiedlichen Bereichen übernehmen.
Bei einer Autoimmunerkrankung greifen bestimmte Antikörper fälschlicherweise körpereigene Strukturen an, solche fehlgeleiteten Antikörper nennt man auch Autoantikörper. Bei der Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis sind es Antikörper der Klasse IgG (in einigen Fällen zusätzlich IgA oder IgM), die die NMDA-Rezeptoren im Gehirn angreifen, indem sie sich an ihnen festsetzen.
NMDA (N-Methyl-D-Aspartat, auch als Glutamat bekannt) ist ein Botenstoff im Gehirn (Neurotransmitter), der bei der Übertragung von Signalen von einer Nervenzelle zur nächsten gebraucht wird (wie z.B. auch Serotonin).
Nervenzellen senden elektrische Impulse (im EEG sichtbar), die an den Verbindungsstellen zwischen den Zellen, also an den Synapsen, in chemische Signale umgewandelt werden, um so mit den Botenstoffen den synaptischen Spalt zu überwinden. Eine Zelle gibt den Botenstoff frei, der in die dafür vorgesehenen Rezeptoren der Nachbarzelle passt wie ein Schlüssel ins Schloss.
Werden die Rezeptoren von den Antikörpern blockiert, kann das Glutamat nicht am Rezeptor andocken und die Signale können nicht übertragen werden. Haften die Antikörper über längere Zeit besonders fest an den Rezeptoren, werden diese von der Nervenzelle internalisiert, d.h. "verschluckt" und zerlegt. So wird nicht nur die Tätigkeit der Rezeptoren gestört durch Blockierung, sondern auch die Anzahl der Rezeptoren wird verringert. Daher können wichtige Informationen nicht mehr in ausreichendem Maße weitergegeben werden unter den Nervenzellen und es kommt zu Störungen der Gehirnfunktion.
Die Verringerung der NMDA-Rezeptoren ist aber reversibel, es können neue Rezeptoren gebildet werden und ihre Zahl erhöht sich wieder, wenn sie nicht mehr von den Antikörpern angegriffen werden, bzw. wenn die Bildung der Antikörper durch geeignete Behandlung verhindert wird.
Im Hippocampus, einer Hirnregion im Temporallappen, ist die Dichte der NMDA-Rezeptoren besonders hoch, daher treten dort besonders deutliche Störungen auf bei dieser Erkrankung. Der Hippocampus ist wichtig für das Gedächtnis und das Lernen, für das Verarbeiten neuer Informationen, dort werden neue Gedächtnisinhalte wie in einem Arbeitsspeicher zwischengelagert, um sie dann gegebenenfalls in das Langzeitgedächtnis zu verschieben. Dies erklärt auch, warum viele Patienten unter einer Amnesie (Gedächtnisverlust) leiden für die Zeit der Erkrankung, denn es konnten keine neuen Erfahrungen als Erinnerung verarbeitet und gespeichert werden. Auch die typischen Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis und beim Lernen erklären sich dadurch.
Der Hippocampus ist auch an der Verarbeitung von Emotionen beteiligt, daher leiden viele Patienten unter starken Gefühlsschwankungen.
Die NMDA-Rezeptoren werden auch mit Erkrankungen wie Alzheimer oder Schizophrenie in Verbindung gebracht, sie sind also beteiligt an Abläufen, die das Gedächtnis und die Psyche betreffen.
Bei ca. 60% der erwachsenen weiblichen Erkrankten wird während oder nach der akuten Phase ein Tumor gefunden (bei Mädchen deutlich seltener), fast immer ein gutartiges Teratom im Eierstock. Teratome bilden sich schon vor der Geburt und können u.a. Nervengewebe enthalten. Man nimmt an, dass das Immunsystem dieses Nervengewebe als körperfremd einordnet und eine Abwehrreaktion in Gang setzt, die sich dann auch auf das Gehirn ausweiten kann (wenn die Blut-Hirn-Schranke nicht ausreichend funktioniert und Antikörper oder Antikörper produzierende Plasmazellen die Schranke überwinden und in den Liquor gelangen). Die genauen Zusammenhänge sind jedoch noch nicht ausreichend erforscht. Da nicht bei allen Betroffenen ein Teratom gefunden wird, muss es noch andere Ursachen für die Erkrankung geben, die operative Entfernung eines Teratoms führt aber häufig zu einer deutlichen und raschen Besserung und verringert auch die Rückfallgefahr.